Die Frau, die einen schwarzen Soldaten ins Panthéon bringen will (2023)

Aïssata Seck hat jahrelang dafür gekämpft, dass die letzten Überlebenden der ehemaligen französischen Kolonialarmee endlich einen würdevollen Lebensabend in ihrem Heimatland verbringen können. Am Ziel ist sie noch nicht: Es hat ihr in Frankreich immer noch viel zu viel Alltagsrassismus.

Nina Belz, Paris

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Als Teenager träumte Aïssata Seck davon, Tänzerin zu werden. Damit hatte sie jedoch keine Chance bei ihren Eltern, die alles dafür taten, dass ihre acht Kinder einen «anständigen» Beruf lernen, ja am besten studieren. Sie sollten es aus dem Arbeiterviertel in der Pariser Banlieue herausschaffen, es einmal besser haben als sie, die Hausfrau und der Arbeiter bei Renault.

Rund 25 Jahre später steht Aïssata Seck an einem regnerischen Freitagvormittag auf einer Bühne auf dem Trottoir an der Porte de Clignancourt, einer grossen, lauten Kreuzung am nördlichen Pariser Stadtrand. Vor ihr sitzen rund 70 Personen auf Stühlen, flankiert werden sie von einer aus dem Elsass angereisten Militärkapelle sowie diversen Fahnenträgern.

Seck tanzt nicht, sie spricht. Nur im ersten Moment wirkt sie ein bisschen schüchtern. Ihre Stimme wird schnell laut und bestimmt – sie muss, denn der Wind stört den Klang des Mikrofons. «Wir haben es geschafft», sagt sie, und ihre Stimme verrät, dass sie ehrlich gerührt ist. Paris ist die erste Stadt, die den «tirailleurs sénégalais» einen Platz widmet. Von diesen Soldaten, die aus früheren Kolonien in Subsahara-Afrika stammen und einst in der französischen Armee dienten, leben heute noch 37 in Frankreich. Der jüngste ist 85 Jahre alt.

Aus Bondy zurück nach Senegal

Aïssata Seck hat sie aus Bondy, einer Pariser Banlieue, herausgeholt. Vor die Kameras der grossen Fernsehsender, in die Zeilen der grossen nationalen Zeitungen und mehr als einmal bis in den Präsidentenpalast. Doch der Weg war lang und der Grund dafür für Frankreich beschämend. Die «tirailleurs sénégalais» waren zwischen 1870 und 1960 Teil der französischen Kolonialtruppen. Im Krieg waren sie Franzosen gewesen, danach allerdings nicht mehr. Ihre Veteranenrente war geringer als jene der französischen Soldaten, und trotz dem Versprechen auf die französische Staatsbürgerschaft wurden sie immer wieder vertröstet. Die meisten hatten den Kampf mit den Behörden aufgegeben.

Seck wurde sich dessen bewusst, als sie einige von ihnen besser kennenlernte. Sie war kurz nach der Jahrtausendwende nach Bondy gezogen. Bald engagierte sie sich im Vereinsleben und schliesslich in der Politik. Sie war fasziniert von den älteren Herren, die oft ihre militärischen Auszeichnungen am Revers trugen, wenn sie in der Stadt unterwegs waren. Die Neugier gründete nicht allein darin, dass Seck sich damals dem Journalismus zugewandt hatte. Ihr Grossvater, den sie nie kennengelernt hatte, war ein «tirailleur» gewesen.

Seck wurde 2014 in den Gemeinderat von Bondy gewählt und war bald unter anderem für das Dossier der Veteranen zuständig. Dank ihrem Engagement konnten die «tirailleurs» aus ihren 7-Quadratmeter-Zimmern in ein neues, grosszügigeres Wohnheim umziehen und wurden zu regelmässigen Besuchern in Schulklassen im Grossraum Paris, wo sie von ihrem Leben erzählten. 2017 erhielten sie endlich die französische Staatsbürgerschaft, und zu Beginn dieses Jahres hat Seck erreicht, dass sie dauerhaft in ihre Heimatländer zurückkehren dürfen, ohne dass ihnen das Anrecht auf die Pension gestrichen wird.

«Das wird schwierig werden, Sie sind schwarz»

Der Weg hierhin war lang und verlangte Aïssata Seck einiges ab. Sie hatte zunächst eine Petition lanciert, dann Minister angeschrieben, Gastbeiträge in nationalen Medien veröffentlicht und mehr als einmal den französischen Präsidenten auf die Missstände aufmerksam gemacht. «Zu lange hat das alles gedauert», sagt sie. Schliesslich geholfen habe, dass sie der Regierung ein bisschen gedroht habe, sagt sie schmunzelnd bei einem Kaffee in einem Bistrot in der Pariser Innenstadt. Man kann es sich gut vorstellen: Seck ist keine aufdringliche Person, aber jemand, der seine Argumente sorgfältig platziert.

Die 43-Jährige ist in Frankreich zur Referenzperson für die «tirailleurs» geworden. Aber ihr Anliegen geht über deren Schicksal hinaus. Aïssata Seck ist der Stereotype und des Alltagsrassismus müde, die sie selbst immer wieder erlebt hat und erleben muss. Seck ist als Tochter senegalesischer Einwanderer in Frankreich geboren. Sie sagt: «Ich möchte nicht, dass die Generation meiner Kinder erleben muss, was ich erlebt habe.»

Mit Anfang 20 sagte man ihr, die zunächst eine Ausbildung als Direktionssekretärin abgeschlossen hat, beim Arbeitsamt: «Das wird schwierig werden, Sie sind schwarz.» Vor 14 Jahren wurde ihre Familie Opfer einer brutalen Hausdurchsuchung. Die 15 schwerbewaffneten Beamten, die morgens um sechs in die Wohnung einbrachen und die männlichen Familienmitglieder in Handschellen legten, bevor sie alles auf den Kopf stellten, hielten es erst nach 15 Minuten für nötig, die Identität der Bewohner zu überprüfen – so sicher waren sie, bei dieser afrikanischstämmigen Familie Verbrecher zu finden. Und selbst in den Reihen der Sozialistischen Partei wurde sie auf ihre Hautfarbe reduziert. «Sie sind nicht eine Mitarbeiterin wie die anderen», sagte der Sicherheitsbeamte, der ihr 2017 bei einer Wahlveranstaltung von Benoît Hamon den Zugang zum Backstage-Bereich verwehrte. Seck – inzwischen hatte sie ihr Masterstudium in politischer Kommunikation abgeschlossen – war damals eine der Sprecherinnen des sozialistischen Präsidentschaftskandidaten.

Die Sozialistische Partei hat sie nach dieser Episode bald verlassen. Doch Seck liegt es fern, sich als Opfer zu sehen. «Ich konzentriere mich auf die Kämpfe», sagt sie. «Ich frage mich: Was will ich erreichen, wen muss ich dazu anfragen?» Gerade beim Engagement für die «tirailleurs» habe sie Unterstützung von Leuten aus verschiedenen politischen Familien bekommen. Politische Ämter hat Seck immer noch, sowohl in Bondy als auch als parteilose Abgeordnete im Regionalparlament der Hauptstadtregion Île-de-France. Zudem arbeitet sie für die staatliche Stiftung zur Erinnerung an die Sklaverei und präsidiert einen Verein, der sich für die Erinnerung an die «tirailleurs sénégalais» einsetzt.

Ein Vorbild für die Jugend

Seck sieht den Weg zum Wandel in der Gesellschaft vor allem über Bildung und Aufklärung. «Die Kolonialisierung ist Teil der französischen Geschichte, aber es sind vor allem Forscher und Lehrer, die darüber sprechen. Sie ist noch nicht in der DNA der Franzosen», sagt sie. «Wenn man über die grossen Figuren der Geschichte spricht, dann fallen Namen wie Napoléon oder Colbert – die sind weiss.» Seck hat angeregt, einen ehemaligen Kolonial-Soldaten ins Panthéon, die nationale Ruhmeshalle in Paris, überzuführen: «Das wäre ein schönes Symbol und würde dem Reichtum und der Komplexität der Geschichte Frankreichs gerecht werden.»

Gehört wird Seck inzwischen bis in den Élyséepalast. Auf ihre Intervention hin beging Emmanuel Macron 2019 nicht nur den 75.Jahrestag der Landung in der Normandie, sondern widmete auch der Befreiung der Provence – im August 1944 – eine Zeremonie. An der Landung in Südfrankreich waren viele afrikanischstämmige Soldaten beteiligt gewesen. Mitte April hat Macron ausserdem einige der «tirailleurs» zu einer offiziellen Verabschiedung in den Élyséepalast eingeladen. «Eine schöne Zeremonie war es», sagt Seck danach. Doch sie bedauert auch, dass die Veteranen erst jetzt ohne Geldsorgen in den Kreis ihrer Familie zurückkehren können. Als François Hollande den «tirailleurs» in einem feierlichen Akt die Staatsbürgerschaftsurkunde überreichte, waren sie noch 28, in Bondy lebten bis vor kurzem nur noch 12. Neun von ihnen sind Ende April nun nach Senegal gezogen.

Wenn sie vom Abschied von ihren «tontons», ihren Onkeln, spricht, wird Secks Stimme brüchig. Ein langer Kampf ist gewonnen, eine Mission erfüllt. Aber nur eine von vielen.

«Ich bin mir erst spät bewusst geworden, dass ich auch eine Mission als Person habe», sagt sie. Immer wieder wird sie von Schulen angefragt, um von ihrem Werdegang zu erzählen. Und manchmal erhält sie Fan-Nachrichten von Jugendlichen aus dem Viertel, in dem sie gross geworden ist und in dem ein Teil ihrer Familie immer noch lebt. Etwas seltsam finde sie das, sagt sie. Aber gleichzeitig ist es ihr wichtig, zeigen zu können, was trotz allen gläsernen Decken möglich sei. «Es wäre ein Erfolg, wenn wir als Gesellschaft dahin kämen, dass eine Karriere wie meine einfach normal ist.»

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Author: Carlyn Walter

Last Updated: 03/01/2023

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