Ella Carina Werner: Rosen in Beton (2023)

von Ella Carina Werner

Ich kann machen, was ich will: Immer wenn ich irgendwo entlang gehe, schauen mir die Männer hinterher. Immer. Alle. Das spüre ich in meinem Nacken und bis tief hinab zu den Zehen. Da steht an der Straßenecke dieser Typ im Anzug, der durch seine eckigen Brillengläser traurig hervorblinzelt, und ich weiß, er wird noch in dieser Nacht seine Frau verlassen und seine PIN bei der Sparda-Bank ändern, damit die Alte nicht das Konto leerräumt. Der Imbissbudenbetreiber schaut mir nach. Mit seinen fetttriefenden Frittenfingern würde er mich zu gerne einmal antippen, ganz sacht. Und der Mittzwanziger dort drüben an den Fahrradständern, der jetzt absichtlich in eine andere Richtung schaut, der ein quälend schlechtes Gewissen hat, weil seine Freundin neben ihm steht. Er braucht kein schlechtes Gewissen zu haben. Seine Freundin schaut mir auch hinterher. Und der Labrador der Freundin. »Ksssst, Ksssst!« macht der Labrador. Dessen Blödblick hat mir gerade noch gefehlt.

Der Mann am Fahrkartenautomaten guckt mir nach, auch wenn er seine glasigen Augen hinter der Sonnenbrille versteckt. Und der Fahrkartenautomat. Und die Schaufensterpuppen drüben im Modegeschäft, die mich auch alle unverblümt anschmachten aus ihren weiß glänzenden, geisterhaften Kuhlen.

Und der CDU-Kandidat meines Wahlkreises. Alle fünf Jahre steht der liebestrunkene Tropf vor meiner Wohnungstür mit seinem Bettelblick, von Machtspielchen, Bezirksversammlungen und Kümmelschnaps gezeichnet. Und der Heizungsableser, der seit einiger Zeit ziemlich häufig vorbeikommt, und wie gern würde er noch öfter bei mir sturmklingeln: jeden fünften Tag, jeden dritten, um sämtliche Ziffern des Wärmemengenzählers noch mal gründlich nachzulesen, weil er die letzte Ziffer wieder verbaselt hat, wobei er noch irgendwas von einem ärgerlichen »Zahlendreher« murmelt. Schon klar. Die Zahnärzte und Kieferorthopäden meiner Kinder starren mich auch an durch ihre albernen Röntgenbrillen und brummen den Kindern andauernd neue Termine auf, nur um mich zu sehen.

Die Air-France-Piloten am Himmel schauen mir nach, und die Kranführer mit ihren Feldstechern, riesenhaft wie barocke Operngläser, die sie stets in der Mittagspause hervorkramen, damit sie dort oben nicht komplett sozial vereinsamen. Spannendes Talkshow-Thema: »Was machen Kranführer eigentlich in der Mittagspause?« Da würde ich sofort einschalten. Aber natürlich säße im Experten-Rund kein einziger Kranführer, nur eine Professorin der Krantechnik, ein Rechtspopulist mit erhöhtem Speichelfluss und Markus Feldenkirchen, der während seines Volontariats beim Spiegel mal in einem Kran-Simulator gesessen hat. Feldenkirchen, der rein gar nichts Gescheites über Kranführung und Mittagspause zu sagen weiß, sondern nur Blödsinn redet, so viel Blödsinn, der dabei die ganze Zeit wie elektrisiert durch die Mattscheibe glotzt, geradewegs zu mir. Dabei ist die Frage wirklich interessant: Lohnt es sich, herunterzuklettern? Ist der Kranführer endlich unten angekommen und entschraubt beim nächstgelegenen Foodtruck den ersten Magenbitter, sind die 60 Minuten Pause schon wieder vorbei, weshalb er wohl lieber gleich auf Posten bleibt in seiner Krankabine, mit Wimpeln und Kuscheltieren ausstaffiert, und seine Teewurststullen futtert, während er zwischendurch versucht, zu seinen Liebsten durchzuklingeln – aber Funkloch, Rauschen, Handy-Knistern, die ganze Zeit, was den Kranführer in den Wahnsinn treibt, will er doch nur mal eben kurz seiner alten Mutter berichten, er habe dort unten auf der S-Bahn-Brücke gerade wieder diese wahnsinnig interessante Frau entdeckt mit dem wie schwerelos federnden Gang und den fünf Sommersprossen auf dem Nasenrücken.

Ella Carina Werner: Rosen in Beton (1)

Begehren '71

Die Straßenlaternen schauen mir nach. Und die Katzenaugen an den Fahrradspeichen. Und die Bäume. Aberdutzend entflammte Eichen und lüsterne Linden, die mit ihren indiskreten Astlöchern Maulaffen feilhalten.

Und Oskar Lafontaine. Und Sahra Wagenknecht. Alle beide, wie gruselig! Die mich gern als Komplizin für ihre perversen Spiele gewinnen würden, aber nur antikapitalistische Spiele wie »Villen des Wahnsinns«, sogenannte kooperative Brettspiele, wo »alle an einem Strang ziehen« müssen, bei dem man immer schön im Kollektiv gewinnt oder verreckt, dazwischen gibt es nichts.

Ryan Gosling schmachtet mir hinterher. Und der deutsche Synchronsprecher von Ryan Gosling. Und der tschechische Sprecher von Ryan Gosling. Und der portugiesische Sprecher von Gosling, weil das Portugiesische ohnehin immer so wunderbar sehnsuchtsvoll klingt, so wehleidig, so von Sinnen, auch wenn der portugiesische Gosling gar nicht wie der echte Gosling klingt, eher wie Armin Rohde.

Und die Heiratsschwindler, obwohl bei mir gar nichts zu holen ist, und die Mitgiftjäger, die auch alle hinter mir her sind, so wie die grauen Herren in »Momo«, die übrigens auch alle hinter mir her sind, samt Momo, die mir alle zusammen blind hinterhertapern wie die Hamelner Ratten, die auch alle hinter mir her sind, die männlichen, und die weiblichen, sonst wär’s zu heteronormativ.

Und Leonardo DiCaprio, der begehrteste Junggeselle der Welt. Und Bradley Cooper, der zweitbegehrteste Junggeselle der Welt. Und Peter Altmaier, der Junggeselle. Und Giacomo Casanova. Und Klaus Kinski, auch wenn dessen Blick auf dem DVD-Cover von »Der Rächer« wirklich unangenehm ist. Und Cranach der Ältere. Sowie Cranach der Jüngere, was natürlich zu familiären Zerwürfnissen führt. Riesenzoff in der Familie. »Du bist doch eh zu alt, du Tattergreis«, mault der Spross. »Rasier’ dir erst mal deinen Milchbart, Frischling!« faucht der Vater zurück.

Ella Carina Werner: Rosen in Beton (2)

Gafferinnen beim neuen Solo von Felix Lobrecht

Und Rainer Langhans, der für mich seinen kompletten Harem aufgeben würde, weil er eh keinen Bock mehr auf dieses Lebenskonzept hat, seit die jungen Leute alle polyamor leben. Wirklich alle. Weil ihm da jetzt der Distinktionsgewinn fehlt, wenn sich jede x-beliebige Studi-WG mittlerweile gebärdet wie die Kommune 1 und man im Internet T-Shirts bestellen kann mit unmissverständlichen Statements wie »Pourquoi pas?« oder »Bier formte diesen polyamoren Körper«.

Und Constantin Schreiber, der Senkrechtstarter der Tagesschau, der immer alles kriegt. Immer. Alles. Außer mich. Daran hat er erst mal zu knabbern. »Hä, wie jetzt?« mault Schreiber und droht, er werde sich noch dieses Frühjahr vom höchsten Kamerakran der Tagesschau stürzen, aufgrund seiner Pleiten als Buchautor, ein bisschen aber auch wegen mir. »Ich möcht’ am liebsten sterben, da wär’s auf einmal still«, zitiert Schreiber ein trauriges Gedicht von Joseph von Eichendorff, jede Nacht.

Die Wirtschaftsweisen schauen mir nach, und der Ältestenrat des Deutschen Bundestags. Und der Jüngstenrat, das freut mich schon eher. Und sämtliche Götter. Die griechischen, indischen und die nordischen, obwohl die ja alle die meiste Zeit ganz schön mit sich selbst beschäftigt sind, diese Narzissten, die übrigens auch teilweise polyamor leben.

Priester-Seminaristen schauen mir nach, die sich reihenweise exmatrikulieren, ohne ihr BAfÖG je zurückzuzahlen, so liebestoll sind sie. Und Kardinal Woelki, für den das wirklich furchtbare Marterqualen sind, der hin- und hergerissen ist, den ganzen Tag – hier das Zölibat, dort diese protestantische Femme fatale mit der gottlosen Mireille-Mathieu-Frisur, Herrgott, was soll er nur tun? Er muss gar nichts tun. Er braucht sich nicht hin und her gerissen zu fühlen. Er kriegt mich sowieso nicht. Auch nicht auf Knien, auch nicht mir zu Füßen liegend, sich im Büßergewand durch meinen Vorgarten geißelnd, jammernd über mein Desinteresse und die Grasflecken, die wieder nicht aus der weißen Soutane rausgehen. »Ach komm«, sage ich zu Woelki. »Lass mal gut sein. Ist doch albern jetzt.«

Wer eine weniger auratische Wirkung auf seine Mitmenschen hat, kann aber übrigens auch auf andere Art und Weise Aufmerksamkeit erregen. Vor kurzem war ich mal wieder in einem dieser zukunftsweisenden Frittenläden auf St. Pauli. Welchen Dip ich denn über meine Fritten haben wolle, erkundigte sich die Servicekraft. Daraufhin sagte ich etwas Krasses, ganz und gar Provokantes, von dem ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht wusste, dass es so krass war. »Ketchup«, sagte ich. Die Servicekraft glotzte mich an, gut fünf Sekunden, ehe sie in ein ohrenbetäubendes Lachen ausbrach, welches immer mehr Nebentische ansteckte, bis der gesamte Außenbereich des Lokals brüllte und röhrte. Wenn mich an diesem Ort bis dato jemand anziehend gefunden hatte (was ich vermute), war es nun damit vorbei. »Ketchup!« wieherte die Servicekraft. Ketchup führe man hier nicht, sagte sie, als sie ausgelacht hatte, und zeigte mir auf ihrem Tablet 17 mögliche Dips von Baconnaise bis Thymian-Aioli. Ketchup sei überholt, komplett durch, erklärte sie. Ketchup sei der Anti-Dip, ohne jedes Flair. »Okay, Ketchup«, sagte sie, als ich bockig bei meiner Wahl blieb, aber gegen 1,50 Euro Aufschlag. Irgendwo müssten in den Katakomben des Kellers noch ein paar verstaubte Alu-Tütchen sein. Die anderen Gäste rückten von meinem Ketchupdurchweichten Frittenberg ab, doch ich hatte den Rest des Tages blendende Laune, handelte es sich doch um eine herrliche, knallharte Provo-Aktion, die ich sämtlichen Leser*innen zum Abkupfern dringend ans Herz legen möchte.

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Author: Edwin Metz

Last Updated: 06/09/2023

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